1. Was ist der European Data Act?
Der Data Act ist eine EU-Verordnung, die den Zugang zu und die Nutzung von Daten regelt. Er ergänzt die EU Data Strategy und soll sicherstellen, dass Daten nicht länger exklusiv bei Herstellern oder Plattformen bleiben, sondern allen Marktteilnehmern zugänglich werden. Damit will die EU einen faireren Wettbewerb schaffen, Innovation fördern und gleichzeitig die Datensouveränität der Nutzer stärken.
Die zentralen Ziele des Data Act:
- Datenzugang für Nutzer: Wer ein vernetztes Produkt kauft oder nutzt, soll auch Zugriff auf die dabei erzeugten Daten haben.
- Drittzugang: Nutzer können die Weitergabe ihrer Daten an Dritte verlangen – etwa Serviceanbieter oder Wettbewerber.
- Fairness im Markt: Vertragsbedingungen zwischen Dateninhabern und Datennutzern müssen fair, transparent und diskriminierungsfrei sein.
- Cloud-Portabilität: Nutzer sollen leichter zwischen Cloud-Anbietern wechseln können.
- Öffentlicher Zugang: Behörden erhalten in Krisensituationen Zugriff auf Daten, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.
2. Rechte für Unternehmen: Daten einfordern
Eine der wichtigsten Neuerungen betrifft die Möglichkeit, Daten von anderen Unternehmen einzufordern. Bisher behielten Hersteller von Maschinen, Autos oder IoT-Geräten oft exklusiven Zugang zu den durch Nutzung generierten Daten. Der Data Act durchbricht dieses Modell.
2.1 Datenzugang für Nutzer
Unternehmen, die vernetzte Produkte kaufen oder leasen (z. B. Produktionsmaschinen, Landmaschinen, Fahrzeuge), haben nun das Recht auf Zugang zu den erzeugten Daten. Diese müssen in einem maschinenlesbaren, standardisierten Format bereitgestellt werden. Der Zugriff darf nicht künstlich eingeschränkt oder erschwert werden.
Beispiel: Ein Logistikunternehmen kauft LKWs mit Telematiksystem. Es kann vom Hersteller verlangen, dass die Motordaten, Verbrauchsdaten und Fahrprofile bereitgestellt werden – und zwar nicht nur dem Hersteller selbst, sondern auch einem von ihm beauftragten Serviceanbieter.
2.2 Weitergabe an Dritte
Unternehmen dürfen die Daten nicht nur selbst einsehen, sondern auch die Übermittlung an Dritte verlangen. Das öffnet neue Märkte für Serviceanbieter, Wartungsfirmen, Versicherungen oder datenbasierte Start-ups.
Beispiel: Ein Landwirtschaftsbetrieb kann von einem Traktorhersteller verlangen, dass Sensordaten zur Bodenbearbeitung an ein unabhängiges Agrar-Start-up übermittelt werden, das darauf basierende Ertragsprognosen erstellt.
2.3 Durchsetzung gegenüber Herstellern
Hersteller sind verpflichtet, diesen Zugang zu ermöglichen. Sie dürfen sich nicht hinter technischen Barrieren oder restriktiven Vertragsklauseln verstecken. Unternehmen können also rechtlich abgesichert fordern, dass ihnen die Daten bereitgestellt werden.
3. Pflichten für Unternehmen: Daten bereitstellen
Während die eine Seite Rechte gewinnt, entstehen für andere Unternehmen Pflichten. Wer Produkte verkauft, die Daten erzeugen, muss den Zugang ermöglichen. Wer Cloud-Dienste anbietet, muss die Portabilität erleichtern.
3.1 Hersteller von Geräten
- Daten aus vernetzten Produkten müssen den Nutzern zugänglich gemacht werden.
- Der Zugang muss rechtzeitig, kostenangemessen und diskriminierungsfrei erfolgen.
- Die Daten müssen in einem interoperablen Format bereitgestellt werden.
3.2 Cloud- und Datenanbieter
- Kunden haben das Recht auf Wechsel zu einem anderen Anbieter ohne unangemessene technische oder finanzielle Hürden.
- Vertragslaufzeiten und Exit-Kosten müssen fair gestaltet sein.
3.3 Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Hersteller dürfen die Datenweitergabe nur verweigern, wenn dadurch ernsthafte Risiken für ihre Geschäftsgeheimnisse entstehen. Allerdings müssen sie dann alternative Schutzmaßnahmen anbieten (z. B. Geheimhaltungsvereinbarungen).
4. Praxisbeispiele: So wirkt der Data Act
4.1 Automotive
Autowerkstätten können künftig verlangen, dass Fahrzeughersteller Daten zu Reparaturen, Verschleiß und Diagnostik bereitstellen. Das stärkt den Wettbewerb zwischen freien Werkstätten und Herstellerwerkstätten.
4.2 Industrie 4.0
Ein Unternehmen, das Industrieroboter einsetzt, kann von dessen Hersteller verlangen, dass Produktions- und Sensordaten auch externen Analysefirmen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten zur Prozessoptimierung.
4.3 Landwirtschaft
Bauernhöfe mit Smart-Farming-Technologien können Daten aus Maschinen an Drittanbieter weitergeben, um bessere Entscheidungen zur Aussaat oder Düngung zu treffen.
4.4 Smart Home
Verbraucher und Unternehmen können vom Hersteller von Smart-Home-Geräten verlangen, dass Daten (z. B. Energieverbrauch) auch anderen Anbietern zugänglich gemacht werden – etwa für Energieoptimierungs-Services.
4.5 Banking & Finanzdienstleistungen
Im Bankensektor eröffnet der European Data Act neue Möglichkeiten für den Wettbewerb im Bereich FinTech und Open Banking. Banken haben häufig exklusive Zugriffe auf Transaktions- und Nutzungsdaten ihrer Kunden, etwa aus Kreditkarten oder Kontobewegungen. Künftig können Unternehmen mit Einwilligung des Kunden diese Daten auch an Drittanbieter weitergeben lassen – zum Beispiel an spezialisierte FinTechs für Bonitätsanalysen, Vermögensverwaltung oder Kreditvermittlung. Das zwingt Banken, ihre Rolle neu zu definieren: Vom alleinigen Datenhalter hin zum Partner in einem offenen Datenökosystem. Für Unternehmen im Finanzbereich entsteht dadurch die Chance, maßgeschneiderte Services zu entwickeln und Kunden neue Mehrwerte zu bieten – während die Transparenz im Wettbewerb steigt und Innovationspotenziale besser ausgeschöpft werden.
4.6 Immobilienwirtschaft
Auch in der Immobilienwirtschaft wirkt der Data Act als Katalysator für neue Geschäftsmodelle. Gebäude erzeugen immer mehr Smart-Building-Daten – etwa aus Heizungs-, Strom-, Wasser- oder Klimasystemen. Bisher lagen diese Daten oft exklusiv beim Hersteller der Anlagen oder beim Facility-Manager. Mit dem Data Act können Eigentümer oder Investoren nun verlangen, dass diese Daten auch an unabhängige Dienstleister weitergegeben werden. Dadurch entstehen neue Möglichkeiten für Energieeffizienz-Beratungen, ESG-Reporting oder datenbasierte Immobilienbewertungen. Immobilienunternehmen können etwa detaillierte Verbrauchs- und Wartungsdaten nutzen, um Nachhaltigkeitskennzahlen automatisiert zu erfassen oder den Wert eines Objekts transparenter zu bewerten. So unterstützt der Data Act nicht nur Innovation, sondern auch die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit und regulatorischer Compliance in der Branche.
5. Strategien für Unternehmen
Für Unternehmen stellt sich nun die Frage: Wie kann man die neuen Rechte nutzen und welche Vorkehrungen sollte man treffen?
5.1 Daten aktiv einfordern
Unternehmen sollten prüfen, welche relevanten Daten durch genutzte Produkte entstehen und wie sie strategisch eingesetzt werden können – z. B. für Wartung, Prozessoptimierung oder neue Geschäftsmodelle. Anschließend können sie den Zugang aktiv beim Hersteller einfordern.
5.2 Vertragsgestaltung anpassen
In neuen Beschaffungsverträgen sollte der Datenzugang explizit geregelt werden. Unternehmen können sich so absichern, dass sie nicht auf den guten Willen des Herstellers angewiesen sind.
5.3 Datenbereitstellung organisieren
Wer selbst Datenlieferant ist (z. B. Hersteller), sollte frühzeitig interne Prozesse aufbauen, um Datenzugänge rechtssicher, effizient und standardisiert bereitzustellen.
5.4 Wettbewerbsvorteile nutzen
Datenbasierte Services werden leichter möglich: Versicherungen, Wartungsfirmen, Softwareanbieter oder Plattformen können neue Produkte entwickeln. Unternehmen sollten überlegen, ob sie selbst in solche datengetriebenen Geschäftsmodelle einsteigen.
5.5 Compliance sicherstellen
Der Data Act ist direkt anwendbares EU-Recht. Verstöße können zu Bußgeldern führen. Unternehmen sollten daher ein Compliance-Programm einrichten, um die neuen Pflichten einzuhalten.
6. Chancen und Risiken im Überblick
Chancen:
- Bessere Datentransparenz und neue Geschäftsmöglichkeiten.
- Stärkung des Wettbewerbs und weniger Abhängigkeit von Herstellern.
- Neue datenbasierte Geschäftsmodelle für KMU.
Risiken:
- Mehr organisatorischer Aufwand für Hersteller.
- Gefahr von Datenmissbrauch oder unklarer Haftungsfragen.
- Notwendigkeit, Geschäftsgeheimnisse gezielt zu schützen.
7. Fazit
Der European Data Act markiert einen Paradigmenwechsel: Daten gehören nicht mehr exklusiv den Herstellern, sondern auch den Nutzern und Dritten, die damit Innovationen schaffen können. Unternehmen erhalten das Recht, Daten einzufordern – und gleichzeitig die Pflicht, Daten bereitzustellen.
Für die Praxis bedeutet das: Wer heute strategisch denkt, kann Wettbewerbsvorteile sichern. Unternehmen sollten prüfen, wo sie Daten einfordern können, welche Chancen sich daraus ergeben und wie sie die eigenen Pflichten rechtssicher umsetzen. So wird der Data Act von einer regulatorischen Pflicht zu einem echten Motor für Innovation und Wachstum.
Dr. Jens Bölscher ist studierter Betriebswirt mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Er promovierte im Jahr 2000 zum Thema Electronic Commerce in der Versicherungswirtschaft und hat zahlreiche Bücher und Fachbeiträge veröffentlicht. Er war langjährig in verschiedenen Positionen tätig, zuletzt 14 Jahre als Geschäftsführer. Seine besonderen Interessen sind Innovationen im IT Bereich.
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