2025 verschmilzt das ERP mit generativer KI: Aus Chatbots werden prozesskundige Assistenten,
die Daten verstehen, Aufgaben anstoßen und Entscheidungen vorbereiten.
Dieser Leitfaden zeigt, wie Unternehmen von ersten Quick-Wins zu skalierbarer KI-Automatisierung kommen –
inklusive Architektur, Use Cases, Governance und einer praxistauglichen Roadmap.

1) Warum jetzt? Vom Chatbot zur Prozessintelligenz

  • 🔗 Tool-Use & Agenten: Modelle rufen ERP-Funktionen gezielt auf (z. B. Angebot erzeugen, Rechnung prüfen).
  • 📚 Kontext-Injection: Relevante Stammdaten & Belege werden sicher und fallbezogen in den Prompt eingeblendet.
  • 🧠 Reasoning: Modelle erklären Entscheidungen (z. B. Abweichung vs. Bestellung) und schlagen nächste Schritte vor.
  • ⚙️ Automatisierung: Wiederkehrende Tätigkeiten laufen als „KI-Playbooks“ ab – vom Entwurf bis zur Buchung.

Essenz: KI wird nicht „neben“ dem ERP genutzt, sondern im Prozess verankert.

2) Top-Use-Cases im ERP

Vertrieb (CRM/Angebot)

  • Opportunity-Zusammenfassungen aus Mails, Tickets, Meetings
  • Automatische Angebotsentwürfe (Preislisten, Rabatte, Lieferzeiten)
  • Follow-ups & Terminvorschläge mit Kundentonality

Einkauf & Dispo

  • Bedarfsprognosen aus Auftrags- und Lagerdaten
  • Lieferantenvergleich (Preis, SLA, CO₂, Qualität)
  • Bestellvorschläge inkl. Freigabe-Workflow

Finance

  • Rechnungs-OCR & Kontierung mit Erklärungen
  • Abweichungsanalysen (Preis/Menge/Vertrag) + Eskalation
  • Cash-Forecast & DSO-Optimierung, Mahntexte automatisch

Service & Helpdesk

  • Lösungsartikel aus Historie generieren
  • Routinetickets automatisch schließen (Self-Service)
  • Wissenslücken erkennen & Doku aktualisieren

Quick-Wins: Ticket-Antworten, Mahnungen, Angebotsentwürfe, Rechnungsprüfung, Meeting-Notes → schnelle Effekte innerhalb 4–8 Wochen.

3) Referenz-Architektur: LLM + Tools + Daten + Sicherheit

SchichtAufgabeBeispiel
UI / CopilotChat, Sidepanel, Inline-Aktionen, Erklärungen„Erstelle ein Angebot für Kunde X aus Anfrage #124“
OrchestrierungAgent-Logik, Tool-Routing, Sicherheits-PromptsGenehmigungen, Rollentrennung, Ketten von Aktionen
Tools / ConnectorsERP-APIs (CRUD), Reports, Workflowsz. B. Produkte, Preislisten, Buchungen, Tickets
WissenskontextRAG (Retrieval-Augmented Generation) mit RechtenVerträge, Policies, Handbücher, SLAs
LLM-EbeneModelle (hosted/on-prem), Guardrails, TelemetrieFallback, Kostensteuerung, Prompt-Templates
Sicherheit & CompliancePII-Filter, DLP, Audit-LogsMaskierung, Redaction, Rollenprüfung
Entscheidend ist rechtebewusstes RAG + saubere Tool-Freigaben statt „freier“ Modellzugriffe.

4) Integration ins ERP: UI-Muster & Automationsflüsse

  • Side-Panel „Copilot“: Kontextuell zum geöffneten Datensatz (z. B. Angebot, Rechnung) mit Vorschlägen & Aktionen.
  • Inline-Assists: Textfelder (Mails, Angebotspositionen, Mahnungen) mit „Vorschlag generieren“ + Tonalität.
  • Playbooks: Auslöser (z. B. „Rechnung unplausibel“) → Analyse → Vorschlag → Genehmigung → Buchung.
  • Human-in-the-Loop: Kritische Schritte erfordern Freigabe; Erklärungen sind jederzeit einsehbar.

5) Governance, Datenschutz & Risiko-Kontrollen

Datenschutz (DSGVO)

  • Verarbeitungsverzeichnis für KI-Funktionen führen
  • Rollenbasiertes Context-Retrieval (kein Over-Sharing)
  • PII-Maskierung & Löschkonzepte, AVV mit Anbietern

Qualität & Haftung

  • Guardrails (z. B. Zahlenformate, Buchungsregeln)
  • „No-Action-ohne-Quelle“ bei kritischen Entscheidungen
  • Audit-Trail: Prompt, Kontext, Aktion, Freigabe

Security

  • SCIM/SSO, least privilege für Tools & Endpunkte
  • Prompt-Injection-Filter & Output-Validation
  • Telemetrie, Kosten-Budgets, Modell-Updates

6) ROI & Messbarkeit: KPIs für KI im ERP

  • Time-to-Quote (Angebotszeit) ↓ 30–60 %
  • First-Contact-Resolution im Service ↑ 10–25 %
  • DSO (Zahlungseingangs­tage) ↓ durch intelligentere Mahnungen
  • AP/AR-Automatisierungsquote (Rechnungen) ↑
  • Fehlerrate bei Kontierung/Bestellung ↓ dank Validierungen

Wichtig: Vorher/Nachher messen und auf prozessnahe KPIs statt nur „Nutzerzufriedenheit“ setzen.

7) Roadmap: Vom Pilot zum Produktivbetrieb

  1. Inventur & Priorisierung: 10–15 Prozesse clustern (Impact × Machbarkeit) – 2 Quick-Wins auswählen.
  2. Datengrundlage & Rechte: RAG-Index mit RBAC aufbauen; sensible Felder maskieren.
  3. Pilot (6–8 Wochen): Copilot im Side-Panel, Playbook für 1 Prozess, klare KPIs & Freigaben.
  4. Hardening: Guardrails, Telemetrie, Kostensteuerung, Monitoring, Audit-Trails.
  5. Rollout: Schulung (Prompting, „Dos & Don’ts“), Betriebsmodell, Incident-Handling.
  6. Skalierung: Weitere Prozesse/Abteilungen, Automationskatalog, regelmäßige Reviews.

Tipp: Startet mit unterstützender KI (Vorschläge). Schritte mit Risiko bleiben vorerst genehmigungspflichtig.

FAQ

Welche Modelle: Cloud oder On-Prem?

Beides ist möglich. Für sensible Daten eignen sich EU-gehostete Modelle oder On-Prem-Optionen. Wichtig sind AVV, Datenpfade und Logs.

Wie beginne ich ohne „Datenlake“?

Mit fokussiertem RAG: nur die nötigen Dokumente/Objekte indexieren (z. B. Angebote, Verträge, Rechnungen) – mit Rechten.

Ersetzt KI Fachkräfte?

Nein. Sie entlastet von Routine, erhöht Qualität/Tempo und schafft Zeit für Ausnahmen, Kundenkontakt und Analyse.

Jens

Dr. Jens Bölscher ist studierter Betriebswirt mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Er promovierte im Jahr 2000 zum Thema Electronic Commerce in der Versicherungswirtschaft und hat zahlreiche Bücher und Fachbeiträge veröffentlicht. Er war langjährig in verschiedenen Positionen tätig, zuletzt 14 Jahre als Geschäftsführer. Seine besonderen Interessen sind Innovationen im IT Bereich.